Geboren 1930 in Paris (). Starb in 2022
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Biographie

Mit zwanzig, als er noch keine Filme dreht, studiert Jean-Luc Godard Völkerkunde und schreibt (vor allem zwischen 1950 und 1960) in mehreren Zeitungen über Filme, insbesondere in Cahiers du Cinéma. Er bildet sich an der französischen Kinemathek mit Hilfe des Programms von Henri Langlois weiter. Ab 1954 ist er nicht mehr nur als Filmkritiker vor Ort tätig, sondern fängt mit Opération béton an, seinem ersten Kurzfilm zu drehen, denn schreiben kann man auch mit der Kamera. Die Filme von Jean-Luc Godard nehmen Bezug auf die Geschichte des Films und nähern sich manchmal bestimmten kinematographischen Genres an (z.B. dem Musical in Une femme est une femme aus dem Jahre 1961 oder dem Science-fiction-Film in Alphaville 1965). Manchmal werden sie sogar ein Vorwand für eine Ästhetik, die den Film zum Gegenstand hat. Bereits in seinen ersten Filmen merkt man, daß er besonders auf die Montage von Ton, Bild und Text Wert legt und versucht, dem Bild Plastizität zu verleihen (Farben, Landschaften, Nahaufnahmen....). Die Tatsache, zwei Tätigkeiten gleichzeitig nachzugehen, der des Filmkritikers und der des Filmemachers, ist für die Vertreter der Nouvelle Vague, zu der Eric Rohmer, Jacques Rivette und François Truffaut gehören, charakteristisch. "Drehen hat mein Leben nicht besonders verändert, denn ich drehte bereits als Kritiker, und wenn ich nochmals Filmkritiken schreiben müßte, wäre das für mich wieder ein Mittel, zum Film überzugehen."1
Seit A bout de souffle [Außer Atem] (1960) versucht sich Jean-Luc Godard in mehreren Filmstilen, wobei er sich in seiner Regie den Verfahren der "Traumfabrik" (d.h. dem amerikanischen Film, der für ihn damals maßgeblich war) gefährlich annähert, ohne jemals der Versuchung erlegen zu sein, selbst wenn es ihm die Mittel einer großen Produktion wie Mépris [Die Verachtung] (1963, mit Brigitte Bardot und Fritz Lang) erlaubt hätten. Denn seine Filme sind bereits vor den Unruhen im Mai 1968 und den"Mao-Jahren"2 engagierte Filme, in denen er die Realität der Welt aufzeigen möchte anstatt vor ihr zu fliehen: in dem Jahr, als auch A bout de soufflle entsteht, dreht er Le Petit Soldat über den Algerienkrieg, und anschließend Vivre sa vie (1962) über die Prostitution. Nach Pierrot le fou (1965) und den "Karina-Jahren"3 widmet er drei Filme der Analyse der Konsumgesellschaft: Masculin Féminin, Made in USA und Deux ou trois choses que je sais d'elle (1966).
1967 werden die Filme von Jean-Luc Godard eindeutig politisch, d.h. sie werden zum Instrument einer marxistischen Ideologie. Seit La Chinoise (1967) [Die Chinesin], in dem die bereits auf den Mai 1968 verweisende französische Haltung gegenüber dem Maoismus festgehalten wird, und seit seiner Begegnung 1968 mit dem Aktivisten Jean-Pierre Gorin, sind seine Aufnahmen eine revolutionäre Methode, zu zeigen, daß man sich der Mängel unseres Systems und der Dringlichkeit einer Veränderung bewußt ist. Da er sich nicht mehr an die Kinozuschauer richtet, sondern versucht, ein breites Publikum zu überzeugen, wendet sich Jean-Luc Godard dem "kleinen Bildschirm" zu, der ihn von den Produktionszwängen des Kinofilms befreit. 1968 beginnt er mit Le Gai Savoir eine Reihe von Filmen, die von ausländischen Fersehanstalten in Auftrag gegeben wurden und ein Werk der Gruppe Dziga Vertov (Jean-Pierre Gorin, Jean-Henri Roger, Paul Burron, Gérard Martin) waren. Der Name dieser Gruppe ist dem sowjetischen Meister der "Film-Wahrheit" entliehen. Als Reaktion auf die Forderung der Urhebernennung, die seitens der Mitglieder der "Nouvelle Vague" laut wurde, streicht Jean-Luc Godard seinen Namen hinter dem der Gruppe. Er mischt Fiktion und Dokumentarfilm zugunsten einer "materialistischen Fiktion"4 und zeigt eine Pädagogie, die an viele kapitalistische Länder angepaßt wurde. In dieser Zeit dreht er theoretische Filme, in denen er Gefahr läuft, in "Didaktismus" zu verfallen, wie z.B. bei One plus one (1968), wo er sich für die Interessen der amerikanischen Schwarzen verwendet, Luttes en Italie (1969) mit dem italienischen Fernsehen, Vladimir et Rosa mit dem deutschen Fernsehen und Jusqu'à la victoire (1970) über die palästinensische Revolution. Die Gruppe Dziga Vertov wendet den Gedanken der marxistischen Wirtschaft auf den Film an und stellt Überlegungen zu den Produktionsverhältnissen an: "Als Marxisten glauben wir, daß die Produktion den Vertrieb und den Konsum und die Revolution die Wirtschaft steuern muß."5
Die beiden letzten Filme, die er zusammen mit Jean-Pierre Gorin dreht, nämlich Tout va bien (1972) [Alles in Butter], in dem Hintergründe der Produktion im Werk und in den Medien gezeigt werden (Radio, Werbung), und Letter to Jane (1972), in dem eine Stunde lang ein Pressefoto aus Vietnam analysiert wird, sind das Ende einer Zusammenarbeit, die beide als Mißerfolg betrachten, und führen Jean-Luc Godard wieder auf französischen Boden zurück. In diesen beiden Filmen werden jedoch die zwei Fragen aufgeworfen, die bereits auf seine kommenden Filme verweisen: die Frage über die Produktionsverhältnisse und die Frage über die Bedeutung des Bildes.
In den zwei Jahren, in denen sich Jean-Luc Godard von seinem Motorradunfall erholt und in denen er Anne-Marie Miéville trifft, schlägt er eine neue Richtung ein. Der erste Film, den sie gemeinsam drehen, Ici et ailleurs, verdeutlicht den Wandel, der sich in ihm vollzog: er zeigt den Wechsel von der marxistischen Ideologie (die Aufnahmen der palästinensischen Revolution) zu einem etwas empfindsameren Bewußtsein für die sozialen Realitäten (sie machen eine neue Regie mit Aufnahmen französischer Familien, die fernsehen), vom Kino- und Fernsehfilm hin zum Video, und schließlich den Wechsel von Paris nach Grenoble, wo sie den Produktionsbetrieb Sonimage gründen. Durch die Verbindung mit Anne-Marie Miévielle, die seine Lebensgefährtin wird, gelingt ihm, was er bereits 1968 verwirklichen wollte: keine "politischen Filme" zu drehen sondern "politisch zu filmen", indem er die Erfahrung des Alltags mit der Theorie verbindet. Numéro Deux (1975) handelt vom Paar an sich und von den geschlechtlichen Unterschieden, und Comment ça va (1976) wirft die Problematik des Verhältnisses zwischen politischem Engagement (Gewerkschaftsbewegung) und Engagement im täglichen Leben auf. Diese Filme, der Übergang von den "Mao-Jahren" zu den "Video-Jahren"6, veranlassen Jean-Luc Godard, wieder für das Fernsehen zu arbeiten.
Six fois deux/Sur et sous la communication (1976) und France/tour/détour/deux/enfants sind Beispiele dafür, daß es ihm gelang, eine im Verhältnis zum herrschenden System abtrünnige Ideologie zu vermitteln und sich gleichzeitig so an den Zuschauer zu richten, daß er sich betroffen fühlt. In der Serie France/tour/détour/deux/enfants ist besonders die philosophische Betrachtung von der Plastizität des Bildes und dem metaphorischen Ausdruck nicht zu trennen.
Diese Entscheidung bestimmt die Richtung, die Jean-Luc Godard in den achtziger Jahren einschlägt: zu diesem Zeitpunkt möchte er beim Zuschauer Emotionen hervorrufen, indem er der Ästhetik größere Bedeutung beimißt. 1979 verläßt er Grenoble und geht nach Rolle (Schweiz), wo er sich ein Tonstudio einrichtet und Musik zu einem lyrischen Element macht, das für seinen Film absolut notwendig ist. Dies wird deutlich in Prénom Carmen [Vorname Carmen] aus dem Jahre 1983. Er dreht Scénario de Sauve qui peut (la vie) als Video vor dem Film Sauve qui peut la vie [Rette sich wer kann (das Leben) (1979), anschließend Scénario du film Passion als Video nach Passion (1982) und Petites notes à propos du film Je vous salue Marie (1983) vor Je vous salue Marie [Maria und Joseph] (1985). Während das Video zu diesem Zeitpunkt ein Arbeitsinstrument für die Montage bzw. ein dem Fernsehen vorbehaltenes Instrument war, wird es hier zu einer den Film ergänzenden bildlichen Schreibweise, ja sogar ein eigenständiger Informationsträger (Lettre à Freddy Buache, 1981). "Das Video wie jemand benutzen, der Kinofilme macht , und den Kinofilm wie jemand benutzen, der vom Fernsehen kommt, würde bedeuten, ein Fernsehen zu machen, das es nicht gibt, Filmkunst zu machen, die es nicht mehr gibt."7 Das Video als Mittel, um zu sehen, wie ein Film entsteht, ist durch seine Dimension der Gleichzeitigkeit und seine grobere Materialität eine Art, seine Arbeit im weiteren Sinn vorzustellen.
1985 fängt Jean-Luc Godard mit Détective wieder mit der Regie und Leitung von Schauspielern an (Johnny Hallyday, Nathalie Baye und Claude Brasseur), d.h. er kommt zum "normalen Film" zurück, wie er selbst sagt, und schlägt eine Richtung ein, die er bis heute beibehalten hat: die des Wechsels zwischen Spielfilm und kommerziellem Vertrieb, in der Art von Détective mit Soigne ta droite (1987), Nouvelle Vague (1990, mit Alain Delon), Hélas pour moi (mit Gérard Depardieu) bis zu For Ever Mozart (1996), und das Drehen von Videobändern, hauptsächlich auf Bestellung (Puissance de la parole im Jahre 1988, Le Rapport Darty Im Jahre 1989), aber auch in Form von Experimenten (Grandeur et décadence d'un petit commerce de cinéma und Soft and Hard in Jahre 1986).
Indem er diese beiden Arten von Film miteinander kombiniert, stellt das Videovorhaben Histoire(s) du cinéma, dessen Realisierung sich über zehn Jahre erstreckt (1987-1998), eine andere, untypische und in der Filmgeschichte neue Definition des Begriffs 'Kunstwerk' dar, eine Bilanz über fünfzig Jahre Leidenschaft für die Filmkunst.

Marie Anne Lanavère

1 Jean-Luc Godard in einem Interview, das in Cahiers du Cinéma, Paris, Ausgabe 138 veröffentlicht wurde (Nouvelle Vague spezial), Dezember 1962; übernommen in Godard par Godard, les années Karina, Paris, éditions de l'Etoile - Cahiers du Cinéma, 1985.
2 Begriff übernommen vom Titel des Buches Godard par Godard, des années mao aux années 80, Paris, éditions de l'Etoile - Cahiers du Cinéma, 1985.
3 Begriff übernommen vom Titel des Buches Godard par Godard, les années Karina, op. cit.
4 Jean-Luc Godard, in einem Interview, das in Politique Hebdo veröffentlicht wurde, Paris, Ausgabe 26, 27 April 1972; übernommen in Godard par Godard, des années mao aux années 80, op. cit.
5 Interview mit der Gruppe Dziga Vertov, veröffentlicht in dans Cinéma 70, Paris, Ausgabe 151, Dezember 1970 ; übernommen in Godard par Godard, des années mao aux années 80, op. cit.
6 Begriff übernommen avom Titel des Kapitels "Les années vidéo (1975 à 1980)" des Buches Godard par Godard, des années mao aux années 80, op. cit.
7 Jean-Luc Godard in einem Interview, das in Le Monde, Paris, 30. März 1980 veröffentlicht wurde; übernommen in Godard par Godard, des années mao aux années 80, op. cit.