Geboren 1960 in (Australie)
Lebt und arbeitet in (Australie ) (Vereinigte Staaten ) und in
Biographie
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Biographie

Tracey Moffatt ist 1960 am Rande von Brisbane (Australien) geboren; ihre Mutter war Aborigines, der Vater Europäer. Wie die geltende Politik der Assimilation es damals verlangte, wurde sie von ihrer Familie getrennt, und wuchs in einer weissen Familie auf. Sie verbrachte also ihre Kindheit mit dieser doppelten Zugehörigkeit: Weisse Erziehung und Aborigines-Abstammung. Als Jugendliche in den 70er Jahren wird Moffatt von der Pop- und Fernsehkultur geprägt. 1982 beendet sie ihr Studium der visuellen Kommunikation am Queensland College of Art (Brisbane), im Rahmen dessen sie umfangreiche und fundierte Kenntnisse in den Bereichen des Films, des Video und der Fotografie des 20. Jahrhunderts erworben hat. So legt sich Tracey Moffatt aus unterschiedlichen Quellen ein virtuelles Bildarchiv an, aus dem sie immer wieder schöpft, um jene einzigartigen Atmosphären zu erzeugen, die ihre Filme kennzeichnen. Nach dem Sie ihr Diplom erhalten hat, lässt sie sich in Sydney nieder, wo sie als Verantwortliche für künstlerische Projekte und als Regisseurin von Videos, von Fernsehdokumentationen und von Musikclips arbeitet. Parallel dazu verfolgt sie ihre künstlerische Arbeit: Filme und‚ „Fotodramen“, wie sie sie nennt.

1987 zeichnet sich ihr erster Kurzfilm, Nice Colored Girls, bereits durch eine Art der Montage aus, die zum Markenzeichen ihres Gesamtwerks werden wird: Das Einfügen von Bildern unterschiedlicher Herkunft (dem Fernsehen und der Werbung nachempfundene Bilder, gemalte Hintergründe, die an Theaterszenerien erinnern, Szenen aus „anderen Filmen“) hat zur Folge, dass der Lauf der Haupthandlung in der Schwebe bleibt. Diese Einschübe destabilisieren die Interpretation, und stecken den Sinn an.

1989 bringt Night Cries: A Rural Tragedy Tracy Moffatt internationale Anerkennung (Offizielle Auswahl in Cannes). Dieser gewagte Kurzfilm bedient sich dieser Montagetechnik mit Einschüben, und steigert die aus Nice Colored Girls bekannte Theatralik der Inszenierung und Stilisierung des Dekors noch. Night Cries nimmt eine tragische und künstliche Färbung an. Die Erzählung löst sich von den Gesetzen der Kausalität, und enthüllt erzählerische und semantische Verknüpfungen, die dem Bereich des Traumes und der Wege durch das Gedächtnis nahe liegen.

Die Figuren von Bedevil (1993) kehren in die Vergangenheit zurück, um die Dämonen aufzurufen, die ihre Gegenwart bevölkern. Dieser Film (auch in Cannes programmiert, in der Sektion „un autre regard“ (Ein anderer Blick)) reizt die besessene und tragische Dimension, die schon in Night Cries am Werk war, noch aus. Um der traumhaften Atmosphäre von Bedevil gerecht zu werden, muss man den aussergewöhnliche Reichtum der Tonspur hervorheben, die populäre Lieder, Hits, einheimische Gesänge, Stimmen aus dem Off, sowie natürliche Geräuschkulissen und andere phantastische und beunruhigende Geräusche nebeneinanderstellt, bis hin zu Tonausfällen. Indem mit der Lautstärke und der Plazierung dieser unterschiedlichen Tonquellen gespielt wird, intensiviert sich die dramatische Wirkung. Dieses Universum ist wie ein musikalisches Fresko komponiert, erzeugt spezifische, geographische oder psychische Stimmungen ausserhalb der realen Zeit, und verleiht dem Film eine verzaubernde Stofflichkeit. Geheimnisvolle zeitliche und örtliche Bezüge tauchen aus der erzählerischen und auditiven Komplexität auf, und verlangen nach einer mehrdeutigen Interpretation.

Lips (1999) fällt in eine eher spielerische, und weniger dramatische Kategorie. Es geht um eine mit Humor aufgerollte, kurze und aufschlussreiche Geschichte der Rollen, die von Schwarzen Frauen im amerikanischen Kino der 30er Jahre bis heute verkörpert wurden. Heaven (1997) seinerseits zielt aufs Neue auf die mutmassliche Rolle der Frauen, diesmal an einem Surferstrand, wo es entgegen aller Erwartung eine Frau ist, die ein Auge auf die muskulösen Sportler wirft, und sie eifrig durch ihr Kameraobjektiv hindurch umwirbt.

Obwohl sie zweifellos dem Status der Frau kritisch gegenüberstehen, werden die Filme von Tracey Moffatt nicht von politisch-sozialen Erwägungen beherrscht. Andere Anliegen sind im Spiel, sie haben mit der Geschichte, dem Gedächtnis und der Erzählung zu tun. Die Fragen, die ihr Werk im Allgemeinen aufwirft, sind zwar mit persönlichen und individuellen Geschichten verknüpft, aber gehen weit über diese autobiografischen und anekdotischen Aspekte hinaus, und haben die Geschichte und das kollektive Gedächtnis im Sinn. Nun stammt aber diese kollektive Geschichte nicht aus Artikeln oder Handbüchern; sie hat einen ganz anderen Gehalt, und setzt sich aus Bruchstücken verschiedener Materialien zusammen. Träume, Erinnerungen, Alpträume, Phantasien, Erinnerungen an erzählte Geschichten, individuelle Erinnerungen, welche sich nicht mehr vom kollektiven Gedächtnis unterscheiden lassen, Geschichtsfragmente, alles entfaltet sich ohne Unterscheidung nach einer ähnlichen Chronologie wie der, die in Tagträumen vorherrscht. Sie versucht nicht, die Realität einzufangen, sie formt sie nach ihrem Bild, entflechtet die Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Einbildung und Wirklichkeit. Die Geschichte baut sich zusammen, indem sie zwischen unterschiedlichen zeitlichen, räumlichen und imaginären Ebenen navigiert.

Tracey Moffatt hat offenbar ein einzigartiges Verständnis von Geschichte, es ist diejenige, die man erzählt, egal welchen Ursprung und welche Legitimität sie hat. Sie schafft eine eigene Welt, die in der Lage ist, ihre Vision der Dinge und ihre Erinnerung an die Ereignisse zu verkörpern und ihre Fragen aufzunehmen. Der Blick auf die Vergangenheit ist ein souveräner Mix aus persönlicher und kollektiver Erinnerung, aus überlieferten Geschichten und Erfindungen. Daraus entsteht ein geheimnisvolles und faszinierendes Werk.

Isabelle Aeby Papaloïzos