Geboren 1957 in (Schweiz) Lebt und arbeitet in Zürich (Schweiz ) | Biographie Bibliographie Liste expositions |
Beat Streuli wurde 1957 in Altdorf im Kanton Zürich in der Schweiz geboren. Von 1977 bis 1980 besucht er die Schule für Gestaltung in Basel und Zürich, von 1981-1987 die Kunst-Hochschule in Berlin. Ab den 80er Jahren erhält er zahlreiche Auszeichnungen1. Mehrere Auslandsaufenthalte folgen auf den Erhalt verschiedener Stipendien: in Paris / Cité des Arts und Fondation Cartier, in Rom / Istituto Svizzero (1988-89) und im New-Yorker P.S.1 Museum (1991, 1992-93 und 1994). Seit 1990 lebt Beat Streuli zwischen Zürich, New York und Düsseldorf.
Beat Streuli photographiert bereits als Teenager. Während seines Malereistudiums an der Kunsthochschule tritt diese Aktivität zwar etwas in den Hintergrund, er experimentiert jedoch bei seiner plastischen Arbeit weiterhin mit Fotomontagen aus gesammelten Bildern und Plakaten. Am Ende dieser Studienjahre gewinnt die Photographie in seinem künstlerischen Schaffen wieder an Bedeutung. Dann beginnen die Reisen und Auslandsaufenthalte in Großstädten, zunächst in Paris, dann in Rom (1988), das zu der ersten Veröffentlichung seiner Stadtbilder Anlass gibt. Die Metropolen folgen eine auf die andere und mit ihnen die Porträts junger Leute, kontrastreiche, Schwarz-weiß- oder Farbaufnahmen (seit 1994), die durch das gewählte Großformat besonders zur Geltung kommen. Die Auswahl bringt Ordnung in den undifferenzierten Menschenstrom. Die Wahl aus den unzähligen mit Teleobjektif entstandenen Aufnahmen ist zwar bestimmt von der Bildqualität, aber auch vom Wunsch, sie von Anekdotik und Romantik zu befreien.
Ein Porträt folgt auf das nächste. Ihre plastische Qualität und das Thema stehen im Widerspruch zu einer ungewöhnlichen und individualisierten Darstellung. Die Gesichter der dargestellten Personen sind völlig ausdruckslos, nur der sogenannte natürliche, unbewußte Alltagsausdruck wird festgehalten. Der Ausdruck wird nicht nachgearbeitet. Die Personen bleiben anonym, sie tauchen gleichsam auf dem Bildschirm auf und sind Teil des Photos wie die übrigen bunten Formen, aus denen es sich zusammensetzt. Beat Streuli sucht in diesen Gesichtern nicht den individuellen Ausdruck, sondern versucht nur die Oberflächenstruktur der Dinge und Menschen festzuhalten. Die Verwendung eines Films mit feinem Korn und einer langsamen Belichtung bringt andererseits Sinnlichkeit und Kontrastreichtum, die eine oberflächliche Lesart bestätigen, in der das Gesicht nicht in den Vordergrund gestellt wird.
Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Photos, gleichsam zugunsten einer grenzüberschreitenden Identität allmählich immer weniger Unterschiede aufweisen, so als wolle der Künstler auf die Ähnlichkeit der Jugend in allen Großstädten hinweisen. Im selben Augenblick da diese Unterschiede schwinden, scheinen sie jedoch neu an Bedeutung zu gewinnen, wie um einem intuitiven und analytischen Blick Raum zu geben, der den Sinn an der Oberfläche zu erfassen sucht. Der Betrachter erkennt, vielleicht unbewusst und mit Hilfe anderer Bilder, an einigen Details, an einem unteilbaren Ganzen, die Identität des Ortes. Dies sind die (technischen und ästhetischen Grundprinzipien der Arbeit Beat Streuli's, eine Art Globalisierung des Scheins.
Diese ästhetischen Kunstgriffe, der Verzicht darauf, die Darstellenden zu identifizieren und das gewählte Format, erlauben es Streuli seinen Photos eine semantische Bedeutung zu verleihen und auf zwei Ebenen zu operieren. Die Präsentation im öffentlichen, für die Werbung vorgesehenen Raum verleiht den Arbeiten Projektionsformat, vergleichbar mit Werbephotos. Großformat und und Kontext nähern sie der Welt der Werbung und setzen einen von den musealen Ausstellungsstätten zeitgenössischer Kunst losgelösten Blick voraus. Die Porträts sind sogar für jene direkt zugänglich, die Hauptdarsteller der Aufnahmen waren. Somit gelangen die Photos wieder an den städtischen Ort ihres Ursprungs zurück2
Von der Photographie zur Dia-Projektion ist es nur ein kleiner Schritt. Streuli vollzieht ihn Ende der 80er Jahre, zunächst in Form von Live-Musik Performances / Diaprojektionen mit Christoph Gallio (1998-1992). Die erste als Installation/Ausstellung gedachte Diaprojektionen “In their own image” findet 1991 im P.S.1 Museum in New York statt. Die Diaprojektionen entsprechen einer Serie von Momentaufnahmen, bei denen Augenblick und Motiv völlig gleichberechtigt sind. Schon bei den Ausstellungen wurde der Betrachter durch das Format der Photos (1:1 manchmal auch größer) mit Bildern in Lebensgröße konfrontiert, wodurch mehr die direkte Konfrontation als die analytische Betrachtungsweise in den Vordergrund rückt. Projektionsunterlage ist die Wand eines Ausstellungsraumes. Es entsteht ein beeindruckender Effekt, der den Betrachter in den Bann der Projektionsfläche zieht. Ein Beispiel ist die Ausstellung im Kunstverein in Stuttgart 1996 wo die Dias unter Anwendung der Überblendungstechnik auf die vier Wände des Ausstellungsraumes vom Boden bis zur Decke projiziert wurden; der Betrachter fühlt sich mitten in eine Menschenmasse versetzt. Er kann mit dem Gefühl der Masse, mit seiner Idee oder Vorstellung davon experimentieren.
Zwar erinnern die Diaprojektionen mit Überblendunstechnik an das Kino, es kommt jedoch ein anderes zeitliches Element zum Tragen. Die zwischen jedem Dia verstreichende Zeit ist nicht mit der in einem Film vergleichbar, den man auseinandernehmen oder in Zeitlupe ablaufen lassen würde, um die Illusionen zu zerstören. Nein, die den Bildern Bewegung und kaleidoskopische Kontinuität verleihende Überblendung, die zwischen zwei projizierten fixen Bildern einsetzt, unterstreicht eher die Abstraktion der Bilder.
Wenn Realität über Photos vermittelt wird, so geschieht dies unter anderem durch Anspielungen, die in Bruchstücken die komplexe Realität wiederherstellen. Mit der Videokamera kann eine Situation in ihrem Gesamtkontext in Echtzeit festgehalten werden3.
Das Video taucht in der Arbeit Beat Streuli's 1994 auf. Damals lebt er in New York und arbeitet an einer Photoserie von Passanten in der einzigartigen Atmosphäre von Manhattan. Die Bevölkerung ist eher jung und farbig in Allen Street, mehr gemischt in der 5th Avenue, und wieder verschieden in der 6th Avenue. Die Arbeit will nicht repräsentativ für das Leben in Manhattan sein, sein Dokumentationswert ist unbedeutend; Ziel ist es nicht, eine kritische Stellungnahme abzugeben, eine Verhaltensanalyse zu erstellen oder eine lokale Besonderheit zu beschreiben. Dasselbe gilt für die an öffentlichen Orten anderer Städte entstandenen Videos. Die Gesichter der Passanten von New York, London, Sydney, Tokyo, Düsseldorf, Glasgow, Tarragona oder Tours werden ohne ihr Wissen immer nach demselben technischen Prinzip mit feststehender Kamera in Sequenzen gefilmt, egal welches Thema gerade behandelt wird: Menschenmassen in Bewegung im Zentrum einer dieser Großstädte oder das Porträt eines Einzelnen, das z.B. in Tarragona aufgenommen wurde (1996). Im Rahmen von Photoausstellungen dienen die Videos der Vermittlung des Kontexts, in dem die Photos entstanden sind. So stellen sie eine wahre Quelle möglicher Bilder dar.
Das Video erlaubt es in Echtzeit die Lichtveränderungen, den städtischen Rhythmus, unzählige Gesten, Blicke, Austausche, Details, besondere Stadtgeräusche festzuhalten. Diese Vielfalt der Eindrücke beschreibt den Alltag in den Großstädten, vor allem teilt sie uns etwas über ein ganzes Beziehungsgefüge mit, das unter dem Blick des Betrachters flüchtig auflebt oder über den Zustand der Dinge, die uns ohne Pracht erscheinen, oder aber sie ermöglicht uns einen direkten Zugang zur Realität, einer mediatisierten Realität. Tatsächlich reduziert die von Beat Streuli gewählte Technik (Aufnahme bei feststehender Kamera) die Sichtbarkeit des Mediums, um einen Bruchteil des Lebens als eine Art Probeentnahme des Realen durchscheinen zu lassen.
In seinen jüngsten Videos4 kehrt Beat Streuli mit Hilfe der Zeitlupe wieder zum Medium zurück. Durch diesen Kunstgriff, bei dem Zeit und Bewegung für einen Augenblick zum Stillstand kommen, werden die Bilder pro Sekunde (contresens! images/secondes, pas images de deuxième rang!!) (mehr als die Pixels) wieder in die Erinnerung geholt und damit die Aufmerksamkeit auf die Vermittlung gelenkt und der Betrachter wird aus dem Zustand der Versenkung zurückholt. Außerdem wird die Aufmerksamkeit durch das plötzliche Stoppen der Körperbewegung oder ein Gesicht in Zeitlupe wieder auf das Motiv gelenkt, womit wir uns erneut mitten in einem der zentralen Themen der Photographien befinden.
Die Elemente Zeit, Dauer und Bewegung, die bereits bei den Dia-Projektionen eine wesentliche Rolle spielen, kommen in den Video-Arbeiten auf geradezu entscheidende Weise zum Tragen. Die Bewegung, das Kommen und Gehen der Passanten entspricht der Dauer des Videos, ist also zeitlich begrenzt und kann somit auch keine Verbindung zu einem Vorher oder Nachher herstellen. Ebensowenig kann der Raum, wesentliches Bewegungselement über das für den Film vorgesehene Feld hinausgehen. Die Gesten sind auf den Raum des Bildschirms begrenzt. Sie erzählen das Hier und Jetzt. Sie entwickeln ihre eigene Gestik ebenso wie die Zeit ihre eigene Dauer festlegt, da die Handlung auf eine bestimmte Zeit begrenzt ist. Ist sie Ereignis, so nur Dauer des Bildes und der – niemals erfüllte – Erwartung, die es hervorruft.
Diese Videobänder, die vielmehr einen Augenblick aus als in der Realität zeigen, erinnern uns an die Art und Weise, wie wir uns im Leben bewegen und führen uns in einer Gegenbewegung das vor Augen, was wir im Alltag nicht mehr sehen. Die Realität vorbeiziehen lassen, ohne sie zu dokumentieren, sie nur andeuten, eine Erfahrung der Realität in ihrer ganzen Komplexität ermöglichen. Sie in Echtzeit und mit feststehender Kamera festhalten und das entstandene Bildmaterial, im Rohzustand, ohne Montage oder Tonmischung. Die Photos, Diaprojektionen und Videos tragen zu diesem Projekt bei.
(IAP)
1 1980, 1983 und 1984: Stipendium des Kantons Zurich, 1985, 1986 und 1988: Schweizer Bundesförderung für Kunst, 1986:, Stipendium Kiefer Hablitzel, 1994: Prix des Montres Breguet 1997: Stipendium Landis & Gyr mit Atelier in London.
2 eine Auswahl:
museum in progress, Visitors (Plakate), Wien (Österreich), 1996 – erste Installation auf Plakatwänden
Cityspace, Kopenhagen(Daenemark), 1996 – erste Installation Fenster
Framed Area, Schiphol Airport, Amsterdam (Holland), 1997 - Plakatwände
in situ, Plakate, Enghien (Frankreich), 1997, 1998 - Posters an Busstationen
Everyday, Sydney Biennale, Sydney (Australien), 1998 - Plakatwände
Düsseldorfer Sparkasse, Dauer-Installation Vitrinen, Düsseldorf (Deutschland), 2000
Museum of Contemporary Art, Chicago, Juli 1999, Chicago (Vereinigte Staaten), 1999 - Fenster
3 Beat Streuli erklärt dazu im folgenden Interview:
BRAUN Alexander, '”Braun, Wurm, Streuli - Videos und Gespräche”, Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg (Deutschland), November 2000
4 1999 in Shinjuku-ku und Düsseldorf gedrehte Videos, Heinrich-Heine-Allee