Geboren 1943 in (). Starb in 2020 | Biographie Bibliographie Liste expositions |
Die eigene "Identität" stellt das zentrales Beschäftigungsmotiv Ulays auf seiner existentiellen Suche dar, welche ihn immer wieder zu neuen Anfängen und Orientierungen drängte. Sein Ausdrucksmedium, die Photographie und später die Performance entstanden aus seinem immer wieder neu gesuchten, gesellschaftlichen Kontext heraus eng verbunden mit politischem Interesse und den verschiedenen Experimenten mit seiner Identität, als Reaktion darauf und nicht in erster Linie von dem Bewußtsein motiviert, künstlerisch zu arbeiten.
Der am 10. November in Solingen geborene Uwe Laysiepen wuchs im Schatten der Nachkriegszeit in einer Generation der Schuldgefühle gegenüber jüngster Vergangenheit auf und mit dem Imperativ, eine Wiederholung des Nationalsozialismus zu verhindern. Als sich Laysiepen für einen neuen Aufbruch und bewußt für die Kunst entschied. hatte er bereits eine vierjährige Studienvorbereitung auf Maschinenbau (1957-61) und eine Kaufmännische Ausbildung als Substitut (1962-67) hinter sich, hatte das erste kommerzielle Farbphoto-Fachlabor in Deutschland eingerichtet und war verheiratet. Er ging 1968 nach Amsterdam, kam dort mit der 68er Provo-Bewegung in Verbindung, photographierte ihre Aktionen und schrieb sich ein Jahr später an der Kunstakademie Köln für Photographie ein, wo er Jürgen Klauke kennenlernte, mit dem zusammen er 1970-71 "Ich & Ich", "das Schnappschuß-Portrait eines chaotischen, psychosexuellen Moments" (Ulay) erstellte.
Autodidaktisch hatte Uwe Laysiepen bereits viel photographisch gearbeitet, an der Akademie experimentierte er mit neuen Techniken, fertigte ab 1970 für Polaroid International Reisephotos von europäischen Städten an und setzte sich mit der Polaroidtechnik auseinander. Im Stadtprospekt von Amsterdam installierte er in dieser Zeit an Häuserfassaden großformatige (10 x 12 Meter) Schwarzweißbilder von Petrochemieraffinerien, so daß sie eingefügt in vermeintliche Baulücken erschienen, um auf ökologische Probleme aufmerksam zu machen. Ab 1972 entstanden Autopolaroids, die Laysiepen mit Aphorismen kombinierte ("Renais Sense") und er begann, sich mit der Transvestitenszene zu beschäftigen, sie zu sich einzuladen, zu photographieren und sich als "Gasttransvestit" in ihrer Gesellschaft zu bewegen. Während der intensiven Beziehung zu Paula, einer verheirateten Frau, löste er sich von der Transvestitenszene und experimentierte mit Selbstverletzungen.
Neben ersten Performances mit Klauke in der für de Appel Galerie 1974, die mit ihrer Stiftung ein Forum für Happening-Kunst (Performances, Vorlesungen und Installationen etc.) wurde, hatte Uwe Laysiepen dort seine erste Ausstellung mit den Polaroids. In dieser Zeit änderte er seinen Namen in Ulay. Eine Motivation für seine publikumskritischen "Fototot"-Arbeiten lag in der für ihn enttäuschenden Verhaltens des Kunstpublikums während seiner Ausstellung, daß sich kaum mit den Werken an sich zu beschäftigen schien. "Fototot" entzog sich den Rezipienten, die bei seiner nächsten Ausstellung bei de Appel in den mit grünlich erleuchteten Galerieraum mit nicht fixierten Photoarbeiten geführt wurden und beim Einschalten des Ausstellungslicht nur noch die schnell dunkelnden Bilder betrachten konnten.
Nach der ersten Begegnung mit Marina Abramovic bei Stichting de Appel, führte er mit ihrer Kameraassistenz 1976 in Berlin die politisch motivierte Liveaktion "There is a criminal touch to Art" (oder "The First Act"genannt) durch, den Bilderraub des beliebtesten deutschen Bildes "Der Arme Poet" von dem Hitler-verehrten Carl Spitzweg. Ulay ging bei laufender Kamera in die Berliner Natioanlgalerie, nahm dort das Bild in seinen Besitz und begab sich in das Wohnzimmer einer türkischen Familie in Kreuzberg, wo er es gegen einen Druck ersetzte, Dann teilte er dem Museum mit, wo sich das Bild befand - die Aktion sollte auf die Situation türkischer Einwanderer und deutschen Nationalismus aufmerksam machen.
Während einer der selbstverletzenden Performances von Marina Abramovic lernten Ulay und sie sich kennen und die starke Anziehung wurde Grundlage für 12-jährige Zusammenarbeit und Partnerschaft. Abramovic kam nach Amsterdam und dies leitete ihr nomadisches, einfaches Leben ein ohne festen Wohnsitz, nur in einem französischen Citroen lebend, und sie begannen mit ihren Relation works. Marina berichtete in einem Interview mit Doris von Drathen über ihre ersten gemeinsamen Performances: "Was wir wollten, war ein drittes Ich zu schaffen, unabhängig von unseren beiden Ich: ein Ich, das wir 'Dasselbst' nannten. Es war für uns eine beinahe hermaphroditische Situation"
Ihre Performances setzen sich mit dem männlich - weiblichen Prinzip auseinander und führen Extremerfahrungen in Raum und Zeit vor Augen, lassen die beiden meist nackten Akteure gegeneinander oder miteinander in einem Status des Aufeinander-Angewiesenseins sowie auch unbeteiligt nebeneinander auftreten. Meist dauerten die Performances bis an den Rand ihrer physischen Kräfte, so war es sowohl die Zeit von 17 Stunden, die Ulay/Abramovic bei "Relation in time"mit den Haaren zusammengebunden Rücken an Rücken verharrten, als auch die Intensität bei "Breathing in - Breathing out" sowie "AAA - AAA", wo entweder die Luft ausging oder die Stimme.
Die Integration des Zuschauers als Agierenden tritt besonders bei "Imponderabilia" zutage, als Ulay/Abramovic 1977 am Eingang zu der Galleria Communale d'Arte Moderna in Bologna einander gegenüber nackt Spalier standen, so daß die Museumsbesucher ohne Berührung nicht an ihnen vorbeikamen und sich beim Durchgehen entscheiden mußten, zu wessen Seite sie sich drehten. Den eigentlichen Aktionsraum der Performance stellte somit der Durchgang zwischen den beiden Performern da und der Zuschauer wurde zum Akteur. In "Incision" (1978) wurde ein von den Performern eingeplanter Mensch aus dem Publikum zum Angreifer auf die unbeteiligt neben dem sich abmühenden Ulay stehende Marina, fungierte als Katalysator für die Emotionen des Publikums.
Die selbst geschaffene Performancesituation versetzte Ulay/Abramovic nach eigenen Aussagen in einen besonderen Zustand mit eigenen Gesetzen und ließ sie mit ihrem engen Bewußtseinsaustausch eine "choreographierte Existenz" erschaffen.
Anfang der 80er Jahre begann eine intensive Reisezeit in die australische Wüste, wo sie aus der einsamen Lebensweise und dem Zusammenleben mit den Aborigines neue Energien vor allem für ihren spirituellen Weg schöpften. Weitere Reisen in die Sahara, Tharwüste und Wüste Gobi schlossen sich bis 1983 an.
In "That Self", einer Videoarbeit mit mehreren Episoden, befaßten sie sich mit der Wirkung von Hypnose und suchten in mehreren Gegenüberstellungen, wie in den Teilsequenzen 'Point of Contact' und 'Rest energy', wo es um Blickkontakt, höchste Konzentration und Spannung und Gefahr geht, diese zu erproben.
Mit ihrer meditativen Performancereihe an 90 unregelmäßig aufeinander folgenden Tagen "Nightsea Crossing", bauten sie ihre einzigen Requisiten, einen Tisch und zwei Stühle auf, um einander gegenübersitzend sich anblickend, ihre Anwesenheit und den dergestalt als relative Größe wahrgenommenen Faktor Zeit an verschiedenen Orten in der Welt zu erproben.
Es zeigt sich eine Tendenz zu inszenierten Szenen und "tableaux vivants", ob auf einer Bühne mit mehreren Performern, Tibetanischen Lamas und Aborigines anläßlich des Holland Festivals ("Positive Zero", 1983) oder zu zweit, in einem gewählten Außenraum, wie bei "Anima Mundi" auf den Stufen vor einem Gebäude in Bangkok oder in italienischen Gassen. Auch das Verharren in Tangopose inmitten einer rechteckigen Zuschauertafel (A similar illusion", 1981, Melbourne, AUS) sowie Placiert-sein im Raum bis der Tag vergeht ("Witnessing", 1981, Christchurch, NZ) veranschaulicht Facetten ihrer auf Meditation ausgerichteten und mit allegorischen Elementen arbeitenden Performances, die unter dem Obertitel "Modus Vivendi" (1981-87) zuammengefaßt wurden.
1988 - Das Jahr ihres großen Chinaprojektes "The Lovers - The Great Wall Walk", der Wanderung auf der Chinesischen Mauer und ihrer letzten gemeinsamen Arbeit. Sechs Jahre hatten sie bei den chinesischen Behörden vorgesprochen, bis sie ihren 90-tägigen Fußmarsch von den entgegengesetzten Enden im Osten und Westen der Mauer, die ihre mythologische Analogie in einem Drachen findet, bis zur Begegnung in der Mitte durchführen konnten. Die Performance, mit Reflexionen über das Land und als Spiegel einer intensiven Begegnung zweier Liebender gedacht, wurde gleichzeitig zum Abschiedsgang - für Marina zu einer zweiten Reinigung, das Gehen als "State of Being", für Ulay im Auf-Sich-Selbst-Geworfensein eine Identitätssuche - und setzte nach einer 12-jährigen, intensiven Arbeits- und Lebensgemeinschaft den Schlußpunkt sowie den Weg für einen neuen Aufbruch.
Für Abramovic bedeutete der Gang über die Mauer ein sich leerendes Boot/einfließender Strom, eine, ein in See stechen, ihre Ausstellung über das Chinaprojekt, während Ulay sich photographisch mit der Vase, als Meditationsobjekt in gefülltem und leerem Zustand und als äquivalente Form zum menschlichen Körper auseinandersetzte.
Ulay widmet sich nun wieder vornehmlich der Photographie, dem Polaroid. 1990 in "Wasser für die Toten" belichtete er Schatten von Vasen mit im Wasser gebrochenen Lichtreflexen zu einer großformatigen Polaroidserie. Dabei geht es ihm - wie auch bei anderen Selbstportrait-Aufnahmen, die ihn auf zertrümmerte Tonscherben blicken zeigen - um die Unmittelbarkeit der Technik, lebensgroß , fast körperlich einen Abdruck auf der Polaroidemulsion zu hinterlassen, förmlich als Kamera zu fungieren und damit physische Realpräsenz zu vermitteln. Er arbeitete dafür in der Kamera, schrieb und zeichnete seine Texte und Vasenformen mit Belichtung auf Fotopapier.
1996 zeigte er im Berliner Marstall seine "Photogene", Nachbilder von in Komplementärfarben genähten Fahnen in Originalgröße der 16 europäischen Länder, die über seine Technik der Negativ-Abzüge von Color-Bildern die dem Betrachter geläufigen Fahnenfarben hevorbringen. Die vor der neuen Wache im Wind flatternden Wahrzeichen der einzelnen Länder vergegenwärtigen die Bewegung und etwas von der Aufnahmeaktion und provozieren gleichzeitig durch die Farbverkehrung eine Revision der symbolisch aufgeladenen Bildzeichen.
In seiner Performance "The Motion Picture", 1997 anläßlich seiner Ausstellung im Yamaguchi Prefectural Museum of Art, verband Ulay sein aktuelles Thema "als Kamera zu fungieren" mit seiner frühen Selbstverletzungsaktionen: Er entwickelte vor den Augen des Publikums in einem Aufzug seinen Körperabdruck auf Photopapier und schnitt sich in den Bauch das japanische Wort für "Photo" - Ulay selbst findet somit seine Identität in der Rolle des Schöpfers und Materials/Gegenstandes seiner Arbeit. Er lebt und arbeitet in Amsterdam.
Lilian Haberer