Sphères d'Influence (Diamond), 1985
PAL, Ton, Farbe
Diamond ist das Fragment, in Form eines Videos, einer Installation, das im Centre Georges Pompidou im Jahre 1985 aufgebaut wurde. Diese Installation besteht aus ca. 10 Videoaufnahmen, von denen sich einige in zwei bis drei Meter hohen schwarzen Kisten befinden, also in einer Art Wolkenkratzer mit Videosichtfenstern als Symbol für das Fernsehen, das organischer Bestandteil der zeitgenössichen Architektur ist. Andere klangliche und visuellen Sphären fordern den Zuschauer zum Weitergehen auf. Tony Oursler, der die Zwänge des Bildschirms ablehnt, vergräbt denselben in Bauten, um die Wirkung der Projektion zu betonen. In Sphères d'influence versucht er dem Videobildschirm seinen hypnotischen und passiven Aspekt zu entziehen, einem Thema, das ihn in den 90er Jahren dazu veranlaßte, Videos auf Puppen zu projizieren.
Im Video bewegen sich Figuren aus Pappe oder Knet in gemalten Szenen und Bühnenbildern in Miniaturformat. Die Welt Tony Ourlsers ist parodistisch und traumhaft. Er erzählt in Form von Sketschen, die mit feststehender Kamera gedreht wurden, Geschichten, in denen es um Mord, Sex und Geheimnisse geht. Das Imaginäre der heutigen Zeit, das durch diese düstere Erzählung vermittelt wird, wird hier durch die Vielzahl der sich in den Alltag eischleichenden neuen Technologien beeinflußt. Dieses Thema, das seinen Figuren keine Ruhe läßt, wird durch den Verzicht auf Spezialeffekte ausgeglichen. Anstatt der üblichen Einblendungen werden lediglich einige Basteleien eingeschoben, wie z.B. das Gesicht eines Darstellers oder ein Mund, der sich in einer Öffnung des Dekors niederäßt. Die Erzählung zerbirst in vielerlei Diskontinuitäten, in denen unterschiedliche Stimmen einen dualistischen Gedanken exponieren. Das Wort verliert sich in dieser Telekommunikationsgesellschaft durch ein Übermaß an Information. Die Lesart des Kunstwerks ändert sich durch Bedeutungsverschiebungen und Assoziationen, die verschiedene Sprachregister umfaßt, wie das der Presse, der Kleinanzeigen, der Astrologie oder der Werbung: eine städtische Poetik.
Die Erzählung beginnt an der Place Clichy als eine Art psychodelischer Roman. "Es ist Samstag Abend, die Stadttore sind weit geöffnet, - eine Stadt des Begehrens, " sagt der Sprecher. Der Protagonist möchte sein "Leben gerne in einer einzigen Nacht leben" 1. Gleich zu Beginn läßt er sich überfahren. Anschließend folgt eine Mordszene, in welcher der Verdächtige erklärt, daß sich die Opfer während des Kampfes gegenseitig umgebracht hätten. Ein Kopf wandert zwischen einem blutverschmiertem Pärchen umher. Eine der Stimmen, die im Band immer wieder zu hören sind, setzt ihren Singsang fort: "Hier habe ich endlich den Sinn der Liebeslieder begriffen..." Verliert man ein gelibtes Wesen, beginnt man zu allem Überfluß, die pochenden Subtilitäten der Popmusik zu verstehen. Jedes Klischee entfaltet sich wie eine Blüte in der Pisse menschlicher Grenzen, die durchbrochen wurden... diese kleinen Gedichte dringen sofort zum Kern meiner Seele vor, einfacher Reim für einfacher Reim stimmen sich in einer Schallstruktur perfekt aufeinander ab... ewige Jugend des Schalls..." Die Figur setzt ihre Reisen fort. "Alle Frauen, die er im Fernsehen gesehen hat, sind auf die eine oder andere Weise seine Geliebten geworden. Für ihn war klar, daß ihre Präsenz seine Seele durchdrungen hatte, und dort besaß er sie. Hier, beim Videokleinanzeigenservice, muß er eine Fortpflanzungspartnerin wählen." Der Held versucht in einer Art Initiationsreise, die fatal endet, eine Erfüllung zu finden und erreicht nichts weiter, als eine Spaltung seiner Persönlichkeit. Man lernt, daß Gewalt und die vielen Aggressionen zu einer Trennung von Körper und Seele führen. Der Erzähler läßt sich über die Wiederherstellun einer perfekten Ordnung "mit Hilfe von heftigen Spasmen eines emotionalen Chaos" aus, wo die Vision der göttlichen Symmetrie das Göttliche berührt. All diese Qualen werden erträglich, wenn man das Licht erblickt .." Und das Licht zeigt sich hier in Form eines Diamanten, dem ästhetischen Lichtbrecher, einem Band zwischen Gegenwart und Zukunft, einem romantischer Gegenstand, der auch von Dieben benutzt wird. Das Kunstwerk endet mit einer Fernsehshow, in der man live an einigen freiwilligen Versuchskaninchen die im Geiste ablaufenden Vorstellungen beim Orgasmus beobachtet, um die unterhaltsamsten herauszusuchen... "Um der Langeweile des Alltags zu entfliehen, sind die Leute zu allem bereit."
Sphères d'influence (Diamond), dreißig Minuten, in denen eine "chemische Taufe, die durch ein Bataillon an Emotionen vergewaltigt wird" übertragen wird.
Dominique Garrigues
1 Alle Zitate in Anführungszeichen stammen aus dem Video.