TUAREG, 1999

Sammlung Centre Georges Pompidou, Paris (Frankreich)


Die Videoinstallation Tuareg wird auf einer Glasscheibe präsentiert, die als durchscheinender Bildschirm dient, also doppelseitig, von beiden Seiten sichtbar ist. Der Bildschirm ist in die hinterste Wand der beiden aufeinanderfolgenden Räume, in denen der Besucher dieselben Bilder, nur umgekehrt, sehen kann, eingebaut. In jedem Raum wird ein anderes Tonband abgespielt.
Die Sequenz zeigt Tuareg-Kinder unterschiedlichen Alters, die zu einem Berberstamm der westlichen Sahara gehören. Die Aufnahmen stammen aus Archivfilmen, die von den Holländern in den 30er Jahren während der Kolonialzeit in Afrika gedreht wurden.
Die Kinder stehen vor der Kamera wie für ein Gruppenfoto: die großen hinten, die kleinen vorne, konzentriert und lächelnd. Das Bild der Gruppe bleibt während einer Sekunde unverändert, dann belebt sich alles, zwei große Kinder streiten sich im Hintergrund, die Kleinen vorne werden unruhig; die Szene ist witzig und drollig. Diese Bewegung dauert einige Sekunden, dann wird das Bild erneut unbeweglich und bleibt in der Anfangsposition stehen. Der Film wird ununterbrochen abgespielt, ohne Unterbrechung. Diese Montage-Arbeit vermittelt den Eindruck, der „Entstehung“ einer Fotografie beizuwohnen. Fiona Tan nennt dies einen ‘fotografischen Moment’, den sie ganz gewissenhaft in den holländischen Archiven “ethnografischer Dokumentarfilme“ auswählt.
Die Geräuschkulisse, die diese Installation begleitet, verleiht ihr eine noch größere Präsenz und Aktualität. Die Geräusche und der Vogelgesang einerseits, der Windhauch andererseits1 beziehen den Zuschauer in die Welt der Tuaregs mit ein. Er hat den Eindruck, Teil der Installation zu sein, wird ein dazugehöriges Element und da er sich an der Stelle der Kamera befindet (und damit den Platz des Regisseurs einnimmt), gewinnt er eine zweideutige Position, gleichzeitig Beobachter und Beobachteter, wie die Protagonisten eines Films.
Tuareg ist „leichter“ als ihre anderen, aus Materialien der Kolonialarchive entstandenen Werke, zweifellos weil es sich um Kinder handelt, die posieren und weil die gewählte Szene eine deutlich humoristische Seite hat. Es löst jedoch nicht weniger beim Zuschauer eine Reflexion über seine Position zu diesen Bildern aus, und damit über seine eigene Identität und Geschichte.
Emilie Benoit


1 Das Tonband, das in dem Raum gespielt wird, in dem sich der Projektor befindet, trägt den Titel „wind“, das im anderen Raum gespielte heißt „natural sphere“ (natürlicher Bereich).