Lasso, 2000

Sammlung Centre Georges Pompidou, Paris (Frankreich)


Lasso (2000) ist die erste Videoinstallation einer von Salla Tykkä geschaffenen Serie von drei Installationen.  2001 folgt Thriller und darauf Cave, 2003. In dieser Trilogie versucht die Künstlerin, durch kurze, nur einige Minuten dauernde Berichte über ein junges Mädchen in seinen verschiedenen Lebensabschnitten (als Jugendliche in Thriller, als junge Frau in Lasso und als Erwachsene in Cave), den Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter herauszuarbeiten.


Lasso ist, wie auch die beiden anderen Teile dieser Trilogie, die Verarbeitung einer nicht stattgefundenen Begegnung mit Bildern und Emotionen. Ein junges Mädchen kommt vom Joggen zurück und geht auf ein modernes Haus in einem vornehmen Vorort Helsinkis zu. Sie läutet an der Tür aber niemand öffnet ihr. Sie geht um das Haus herum und auf eine große Glasfront zu, um hineinzuschauen. Zuerst sieht sie nur ihr Spiegelbild in der Scheibe, aber dann erscheint zwischen den Storelamellen ein nur eine Jeans tragender Junge mit nackten Füssen und Oberkörper, der im Wohnraum Lassoschwingen übt.


Die Musik wird lauter und man sieht den Jungen das Lasso in Zeitlupe schwingen und sich nach dem Geräusch des durch die Luft sausenden Seils hin und her wiegen.  Das junge Mädchen beobachtet ihn mehrere Minuten lang, er sieht es jedoch nicht. Diese intensive, spannungs- und emotionsgeladene Beobachtung hört schlagartig auf, als der Junge sein Lasso mit einem trockenen Geräusch auf dem Boden aufknallen lässt. Das junge Mädchen weicht mit schweiß- oder tränennassem Gesicht kurz zurück und hinterlässt dabei seinen Atemhauch auf der Glasscheibe. Die Kamera entfernt sich von der Protagonistin in einem Panoramaschwenk und fixiert sich schließlich auf den Überresten eines Schneehaufens auf dem Rasen.


Diese beiden Menschen werden sich nie treffen. Wie Salla Tykkä es ausdrückt „ist dies eine von der Beziehung zwischen diesen Menschen, zwischen ihren Welten handelnde Geschichte. Es ist auch eine Art Versuch, die Unterschiede zwischen der Realität und der imaginären Welt, die wir zu unserem Schutz aufbauen, zu beschreiben“[1].  Das junge Mädchen ist zwar  in der Lage, die Szene zu beobachten, jedoch ist es ihr nicht möglich, daran teilzunehmen oder sie ganz zu verstehen. Die nicht vorhandene Kommunikationsmöglichkeit zwischen dem Mädchen und dem Jungen, die durch das Fenster, einem ständig wiederkehrenden Symbol bei Salla Tykkä[2] zum Ausdruck gebracht wird, ist komplett dargestellt: sie ist draußen, er ist drinnen; sie sieht ihn, er sieht sie nicht; sie scheint von seinem Tun fasziniert zu sein, er ist vollkommen auf sich zurückgezogen, konzentriert sich auf seine Gebärden, ist in seiner Welt eingeschlossen. Die Stimmung des Films ist deshalb jedoch nicht bedrückend: der total hypnotisierende Anblick des Lassos bei seinem Zeitlupen-Tanz und die betörende Musik setzen beim Zuschauer tiefe Emotionen frei.


Die Filmmusik, Titelmusik von Ennio Morricone, mit der der „Spaghetti-Western“ von Sergio Leone, Once upon a time in the West (Spiel mir das Lied vom Tod) eröffnet wird, ist packend und kitschig zugleich und passt daher zur intimen und emotionalen Ausrichtung des Werks.


Das junge Mädchen, das diese Szene beobachtet, steht stellvertretend für den Zuschauer, dessen Blick gleichzeitig durch Faszination und voyeuristische Aspekte geprägt ist. Dieser Frontalblick des jungen Mädchens und des Betrachters macht den beobachteten Ort zur Schauspielbühne, wobei durch die Glasscheibe zwei verschiedene Realitätsebenen voneinander getrennt werden.


Alles geschieht ohne Worte und so entsteht der Sinngehalt ausschließlich über Bilder und Ton; einen nicht unwesentlichen Anteil hat auch das Unausgesprochene und Nicht-Gesagte. Dem Besucher erschließt sich das Werk nicht über die Reflexion sondern die Emotion. Die durch diese Situation hervorgerufene Erwartung wird nie erfüllt; einzig und allein der von einer weißen Leinwand abgelöste Schneefleck ist für den Betrachter ein unberührter Raum auf den er seine Erwartungen projizieren kann.


Der Einsatz von populären filmischen Codes und die Umkehrung ihrer Werte (im Western, wie auch in der westlichen Gesellschaft im allgemeinen, ist es der Mann der einen von Voyeurismus geprägten Blick auf den Körper der Frau wirft) verleihen dem Werk von Salla Tykkä eine immense Aussagekraft. Es gelingt ihr hiermit, die traditionellen Schemata umzukehren und einen feministischen Diskurs zu führen[3].


 


Emilie Benoit


           


[1]“ The  story tells about the relationship between these persons, their worlds. It is also an attempt to describe differences between reality and the imaginary world we are building to protect us.”


[2]In Thriller spielt das Fenster eine entscheidende Rolle, desgleichen in der Fotoserie Pain, Pleasure, Guilt.


[3]„ I am a feminist and that is part of my working process. I have been looking at female roles in different film genres. It is interesting to understand how these social and political structures are deeply built in our consciousness and how much people remember things they have seen or heard. In my work I try to change the roles and traditional ways of seeing and hearing.” (“Ich bin Feministin und das ist Teil meiner Arbeitsweise. Ich habe die Frauenrollen in verschiedenen Filmgenres unter die Lupe genommen. Es ist interessant zu verstehen, wie diese sozialen und politischen Strukturen tief in unserem Bewusstsein verankert sind und wie sehr sich die Leute an gesehene oder gehörte Dinge erinnern. In meiner Arbeit versuche ich, die traditionellen Rollen und Hör- und Sehweisen zu ändern.“), Salla Tykkä in Boiler, März 2002.


Über die feministischen Diskurse von Salla Tykkä gibt es den lesenswerten Artikel von Bernhard Fibicher im Katalog Salla Tykkä, Kunsthalle Bern / BAWAG Stiftung Wien, der anlässlich der Salla Tykkä gewidmeten Ausstellungen 2002 in Bern und Wien veröffentlicht wurde.