Jean Genet parle d'Angela Davis, 1970
Bétacam numérique, son, noir et blanc
Produktion: Video Out, Frankreich
auf 1 Zoll-Band
Am 16. Oktober 1970 filmt1 die Gruppe Video Out (Carole und Paul Roussopoulos) die Stellungnahme Jean Genets2 im Hotel Cecil in Paris nach der Verkündung der Verhaftung von Angela Davis3, Militantin der Black Panther Party, und Dozentin für Philosophie in den Vereinigten Staaten.
Im Rahmen der französischen Fernsehsendung „L'invité du dimanche“ (der Sonntagsgast) hat der Schriftsteller Rezvani für die Sendung des 8. Novembers Intellektuelle, u.a. Jean Genet eingeladen.
Die Regisseurin wohnt der Aufnahmen bei, die vom ORTF-Team unter der Regie von Jean Daniel Pollet ausgeführt wird. Während der ersten Einstellung liest Jean Genet mit Vehemenz den folgenden Text (Ausschnitt): „Angela Davis ist in euren Klauen. Alles ist an seinem Platz. Eure Bullen, die bereits auf einen Richter geschossen haben, um besser 3 Schwarze töten zu können, eure Bullen, eure Administration, eure Richter und eure Gelehrten trainieren täglich, um die Schwarzen zu massakrieren. Zuerst die Schwarzen. Dann die Indianer, die überlebt haben. Dann die Chicanos. Dann die radikalen Weissen. Dann, so hoffe ich, die liberalen Weissen, dann die Weissen, dann die weisse Administration, dann euch selbst. Dann wird die Welt befreit sein. Nach eurer Zeit werden dann die Erinnerung, der Geist und die Ideen von Angela Davis und der Black Panther-Bewegung übrigbleiben.“
Jean Genet denunziert vehement die rassistische Politik der Vereinigten Staaten, und bekundet seine Unterstützung für Angela Davis und die Black Panthers. Auf Anfrage des O.R.T.F.-Regisseurs liest er den Text noch zwei Mal, und ist dabei bemüht, eher den Inhalt seines Textes als seine Person in den Vordergrund zu halten. Die Sendung ist schliesslich zensiert worden.
Die Regisseurin fängt die Szene mit einem ironischen Blick ein. Sie hebt die unterschiedlichen Haltungen hervor: Jean Genet, der sich seines Engagements bewusst ist, und das Fernsehteam, das es eilig hat, die Aufnahme abzuschliessen. Das Tempo und die Fragmentierung der Fersehaufnahmen bilden einen Gegenpol zu den geschmeidigen Sequenzen von Carole Roussopoulos und zu der Nähe, die sie mit ihrer Figur verbindet. Auf der einen Seite versucht die Fernsehkamera einen „objektiven“ Eindruck zu vermitteln, auf der anderen übt sich eine Schulterkamera in der Empathie mit der gefilmten Person und ihren politischen Positionen.
Nicole Fernandez Ferrer
1 Carole bedient sich des Portapacks, einer leichten 1/2-Zoll Videoeinheit, bestehend aus einer Schwarz-Weiss-Kamera und eines Rekorders, das Sony ab 1965 in den Vereinigten Staaten anbietet, und 1969 in Frankreich erhältlich wird.
2 Jean Genet (1910-1986) ist ein Französischer Schriftsteller, Autor von Romanen, Gedichten und Theaterstücken: Le condamné à mort, Notre-Dame-des-Fleurs, Querelle de Brest, Les bonnes, Les nègres, Les paravents. Sein letztes Buch, Un captif amoureux, berichtet über seine Aufenthalte bei den Palestinensern und bei den Schwarzen Panthern, und ist posthum erschienen.
3 Angela Davis ist 1944 in Birmingham, Alabama, in den Vereinigten Staaten geboren. In den 60er Jahren ist sie Professorin der Philosophie an der Universität von Los Angeles (UCLA), antirassistische und feministische Aktivistin, Mitglied der amerikanischen kommunistischen Partei, und unterstützt den Kampf der Afroamerikaner. 1971 ist sie Opfer einer politischen Intrige, und verbringt dann 16 Monate im Gefängnis. Im Juni 1972 wird sie nach einem von den Medien sehr beachteten Prozess auf freien Fuss gestellt, und kämpft schreibend und lehrend weiter gegen den Rassismus und für den Feminismus.