Elke Allowing The Floor to Rise Up Over Her, Face Up, 1973
NTSC, Ton, Farbe
Für dieses Video und sein zur selben Zeit aufgenommenes Gegenstück Tony Sinking into the Floor, Face Up and Face Down hatte sich Bruce Nauman eine Reihe gedanklicher Übungen ausgedacht, die er von Berufsschauspielern durchführen ließ. In diesem Video gab er einer Performerin die Anweisung, sich auf den Boden zu legen, auf dem Rücken liegen zu bleiben und sich vorzustellen, wie der Boden über ihren Körper hinauswächst. Mit diesen beiden Videos versucht er zum erstenmal, mit Darstellern in einem Aufnahmestudio zu arbeiten. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Filmen und Videos, die er die meiste Zeit mit einer einzigen Einstellung ohne Unterbrechung in Schwarz/Weiß gedreht hatte, benutzt er hier einen Farbfilm, bedient sich zweier Kameras und arbeitet bestimmte optische Effekte heraus. Diese Methode kontrastiert mit der scheinbaren Unbeweglichkeit der Szene und gibt ihm die Möglichkeit, die ganze Performance über durch Überblendung von einer Einstellung zur nächsten überzuwechseln.
Im Video sieht man eine Frau, die auf dem Boden liegt, ihre Beine anzieht und wieder ausstreckt und sie hin und her bewegt. Von Zeit zu Zeit dreht sie den Kopf von rechts nach links und biegt 1 die Finger ihrer Hände durch. Man hört, wie sie atmet und keucht, und kaum wahrnehmbar auch, wie sie stöhnt. Sie ist unruhig und es fällt ihr schwer, ruhig liegen zu bleiben. Bruce Nauman hatte sie gebeten, sich vorzustellen, wie sich die Moleküle ihres Körpers mit dem Boden vermischen, bis sie sich auflöst und Teil "von etwas anderem" würde. Während der Performance wird sie in einem Moment extremer Anspannung und Konzentration von Angst gepackt, und muß die Performance unterbrechen, weil sie keine Luft mehr bekommt. Diese Details sind auf dem Bildschirm nicht zu sehen. Durch die verlangsamte Bewegung der Darsteller wird die Intensität ihrer Muskelkontraktionen abgeschwächt. Sie scheinen friedlich zu schlafen. Die Tatsache, daß ein innerer Vorgang nicht unbedingt nach außen hin sichtbar ist, daß eine extrem konzentrierte Person den Anschein geben kann, sie ruhe sich aus, interessierte Bruce Nauman. In diesen Performances untersucht er die Widersprüche zwischen Konzept und Realität, zwischen dem, was man sieht und dem, was man rein theoretisch weiß.
Mit diesen beiden letzten Videos, die noch vor Beginn der achtziger Jahre gedreht wurden, entsteht eine Verbindung, ja sogar eine Wechselwirkung zwischen dem Psychologischen und dem Körperlichen. Für den Künstler ist es wichtig, in der Lage zu sein, im Geiste der Beteiligten eine Situation hervorzurufen, die so konkret wird, daß sie die Personen physisch und psychisch empfinden.
In diesen beiden Performances sind, wie in einigen Performances aus dem Jahre 1966, die in der Gestalt-Therapie verwendeten Techniken in Form von Anweisungen an einen Performance-Darsteller deutlich vorhanden. Diese Videos, die auf Übungen beruhen, die in seiner Performances vorgeführt worden waren, erinnern an ein Foto aus dem Jahre 1966: Failing to Levitate in the Studio. Doch hier läuft das Experiment umgekehrt ab: Tony soll in den Boden versinken und bei Elke soll der Boden über sie hinauswachsen. Eine andere Performance aus derselben Zeit bestand in einer mentalen Übung, bei welcher der Performer eine Reihe von Handlungen durchführen sollte, die ihm dabei helfen sollten, sich seinen Körper wie einen Zylinder bzw. wie eine Kugel vorzustellen. Dieser Begriff des Körpers als Gefängnis des Geistes und der Gedanke, den Raum, der einen umgibt, zu kontrollieren, sind auch auf einer Fotoserie aus dem Jahre 1967 mit dem Titel Light Trap for Henry Moore, N° 1 und N° 2 zu erkennen.
Als Bruce Nauman diese Videos drehte, war er erstaunt darüber, wie ernst die Teilnehmer seiner Performance seine Anweisungen genommen hatten und wie gut sie sie durchzuführten. Für Bruce Nauman und die Darsteller war das eine sehr eindrucksvolle Erfahrung. Das Experiment hat ihn davon überzeugt, daß die geistigen Fähigkeiten über die körperlichen Eigenschaften der Dinge dominieren.
Cristina Ricupero
1 Eine Bewegung aus dem Ballett.