Slow Angle Walk (Beckett Walk), 1968

NTSC, Ton, schwarzweiss


Eine feststehende geneigte Kamera zeigt Bruce Naumann, wie er ca. eine Stunde lang eine anstrengende Übungsfolge wiederholt, mit dem Ziel, sich in seinem Atelier von einem Ende zum anderen zu bewegen. Zu Beginn der Aktion befindet sich Bruce Naumann hinten im Raum und hat die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden. Er wirft ein Bein im rechten Winkel nach vorne, dreht seinen Körper um 45° und fällt brutal und geräuschvoll auf dieses Bein; dann hebt er das andere Bein hinten hoch, so daß sich der Körper wie bei einer Waage nach vorne neigt. Dann fängt er wieder von vorne an. Drei Schritte nach rechts, drei Schritte nach links und schließlich nur zwei Schritte nach vorne. Je näher er der Kamera, also dem Betrachter, kommt, um so schwieriger wird es, die Handlung als Ganzes zu erfassen. Die feststehende Kamera definiert die Szene, indem sie aus dem Gesamtbild einen Rahmen herausschneidet. Bruce Naumanns Körper wird dadurch fragmentarisch gezeigt und in einzelen Teile zerlegt. Der Kopf ist oft abgeschnitten oder man sieht nur einen Fuß oder ein Bein. Manchmal verschwindet Bruce Naumann vollkommen aus dem Sichtfeld. Lediglich das Geräusch seiner Schritte läßt darauf schließen, daß er anwesend ist. Dieser losgelöste Umgang mit seinem Körper, seine Zerstückelung und das Wegrücken aus dem Bildfeld wird durch das perzeptorische Schweben und den Eindruck der Schwerelosigkeit, der durch den umgekehrten Raum entsteht, verstärkt. In Slow Angle Walk (Beckett Walk) wird der Betrachter mit einem Gefühl der Entfremdung konfrontiert, wenn er den Künstler einmal in der Bildeinstellung und zum zweiten Mal im Atelier eingeschlossen sieht.
Diese Aktionen wurden 1968-1969 genau und detailliert in zwei Zeichnungen, die als Studie dienten, festgehalten. Bruce Nauman hatte seine Übungen lange einstudiert, bevor er sie vor der Kamera vorführte. Die Aufzeichnung dauerte eine Stunde lang, wobei weder die Aufnahme noch die Handlung unterbrochen wurde. Trotz der rigorosen Methode kommt auch der Zufall zum Zug. So entsteht beispielsweise eine bestimmte Spannung, wenn er das Gleichgewicht verliert und vor allem, wenn er hinfällt. Bruce Naumann führt die Bewegungen so konzentriert und überzeugt durch, daß das Ergebnis eindrucksvoll und absurd zugleich ist.
Die Literatur Samuel Becketts hat bei ihm bestimmte Intuitionen verstärkt. Becketts Personen legen sehr oft ein zwanghaftes Verhalten an den Tag. Bruce Nauman interessiert sich insbesondere für Molloy, der Steinchen von einer Manteltasche in die andere legt, ohne sie durcheinander zu bringen. Für Bruce Nauman ist diese Tätigkeit ermüdend, sinnlos und absurd und dennoch eine humane Handlung, die es Wert ist, aufmerksam untersucht zu werden. Bei Slow Angle Walk (Beckett Walk) ließ er sich von einer Beschreibung Samuel Becketts anregen, in der die Person von einer Wohnung zur anderen geht. Die Bewegungen des Körpers ähneln Gynmastikübungen - sich beugen, sich drehen, ein Bein hochheben - die bis ins Unendliche wiederholt werden. Das Vorwärtskommen, und sei es nur ein Meter, ist ein langwieriger und komplizierter Prozeß.
Wie Samuel Beckett benutzt auch Bruce Nauman alltägliche und banale Bewegungen auf so nüchterne Art und Weise, daß sie wieder interessant werden und die Kraft zurückgewinnen, die sie durch die Gewohnheit verloren hatten.

Cristina Ricupero