Walk with Contrapposto, 1968
NTSC, Ton, Schwarzweiss
In diesem Video bewegt sich Bruce Nauman mit im Nacken zusammengebundenen Händen und nach vorne zeigenden Ellenbogen langsam vorwärts, indem er seinen Körper stark hin und herwiegt. In einem langen engen Gang nähert er sich der Kamera und entfernt sich wieder von ihr. Sein Körper ist so verdreht, daß seine Hüften, seine Schultern und sein Kopf in unterschiedliche Richtungen zeigen. Jedesmal, wenn er einen Fuß vor oder hinter den anderen setzt, verlagert er sein ganzes Gewicht auf eine Hüfte. Die Enge des Ganges behindert ihn bei seinen ausladenden Hüftbewegungen.
Bruce Nauman bewegt sich in Walking in an Exaggerated Manner Around the Perimeter of a Square auf die gleiche Art und Weise fort. Er benutzt diese Gangart auch 1968 für eine Performance. Der Künstler hat seine Vorgehensweise in Willoughby Sharp erklärt: "The camera was placed so that the walls came in at either side of the screen. You coudn't see the rest of the studio, and my head was cut off most of the time/ The light was shining down the length of the corridor and made shadows on the walls at each side of me." 1. Der architektonische Aufnahmeplan bestimmt somit die Grenzen der dargestellten Szene und arbeitet mit der Wegnahme des Bildes aus dem Bildfeld, mit der Zerstückelung und der Distanzierung in Bezug auf den Betrachter.
Im Gegensatz zu seinen vorhergehenden Filmen und Videos ist diesmal die Kamera oben befestigt und filmt nach unten auf den Gang. Diese Perspektive erweckt den Eindruck, daß sich die Funktion der Kamera nicht lediglich darauf beschr&aum l;nkt, banale Handlungen in einem Atelier aufzuzeichnen, sondern daß es sich darüber hinaus um eine Überwachungsanlage handelt. Diese Überwachung wird in den siebziger Jahren eine wichtiges Thema im Schaffen Bruce Naumans. Seine tänzerischen Übungen basieren auf alltäglichen Handlungen, wie z.B. dem Laufen. Durch ihre Zerlegung in einzelne Bewegungen wird diese vorausgesetzte Normalität jedoch gestört und in Frage gestellt.
Walk with Contrapposto nimmt den einengenden Charakter des Raums bei den neuen Installationen des Künstlers vorweg. Die Bewegungen erinnern an einen Häftling, dem man die Hände hinter dem Nacken zugebunden hat und der in einer engen, Klaustrophobie auslösenden Abgeschlossenheit in einem Gang entlang geht. Walk with Contrapposto ist wie ein metaphorisches Kunstwerk, das den Künstler in den Mittelpunkt seines kreativen Prozesses rückt, ein Labyrinth, in dem er darum kämpft, die Kontrolle über eine Situation wiederzuerlangen, in der er sich manchmal verliert.
Bruce Nauman mag alles, was widerstandsfähig ist, was nicht gut funktioniert und was schwer zu verstehen ist. Oft bringt er sich in unkonfortable und unbekannte Situationen, um zu begreifen, was ihn dazu bringt, durchzuhalten. Schon immer hatte er sich dafür interessiert, wie sich physische Situationen auf das menschliche Wesen auswirken, wie z.B. das Gefühl des Unbehagens, das durch einen verengten Raum hervorgerufen wird. Die Architektur widersteht dem menschlichen Körper. Sie zwingt ihm Stellungen auf, weist ihm Wege und zwängt ihn in seine Steifheit.
Der Gang, der in diesem Video ein Element der Szenerie ist, wird in den achtziger Jahren in zahlreichen Installationen Bruce Naumans zum zentralen Thema. Er steht für eine Wende in seinem Schaffen. Die Unterscheidung zwischen Performance, Film und Video und seine skulpturalen Installationen werden immer weniger, dafür stellt Bruce Nauman immer mehr Vorrichtungen her, die der Mitarbeit des Betrachters bedürfen, um aktiviert zu werden. Diese Vorrichtungen müssen gelebt und ausprobiert werden. Sie kennzeichnen den Übergang zwischen einer Arbeit in gänzlicher Zurückgezogenheit, in einen privaten Atelierraum, wo der Künstler Subjekt und Objekt seiner Untersuchungen und Situationen in der Öffentlichkeit ist, die den Betrachter dazu zwingen, Darsteller zu werden, und bestimmte Erfahrungen körperlich und phsychisch zu durchleben.
Cristina Ricupero
1"Die Kamera war so positioniert, daß von allen vier Seiten die Wände in den Bildschirm hineinragten. Man konnte den Rest vom Studio nicht sehen und mein Kopf war die meiste Zeit abgeschnitten. Das Licht fiel in den Gang und ließ rechts und links von mir Schatten entstehen."(Bruce Nauman zitiert von Willoughby Sharp in "Nauman Interview", Arts Magazine, New York, März 1970).