A Loving Man, 1996 - 1999

15’33’’, Installation vidéo
5 moniteurs, 1 synchroniseur, 5 haut-parleurs,
5 bandes vidéo, PAL, couleur, son (anglais)


In einem kreisrunden, geschlossenen, vollkommen dunklen Raum umgeben fünf Bildschirme den Zuschauer, wie Fenster in den Mauern. Auf jedem Bildschirm erscheint das Gesicht einer Frau, in reeller Größe und in Höhe der Köpfe der Besucher. Diese fünf Frauen (die Künstlerin, ihre Mutter und ihre drei Schwestern) sprechen eine nach der anderen, und wiederholen unablässig dieselben Sätze, die sie nach und nach ergänzen, und so eine Erzählung konstruieren, die auf dem Prinzip von Sprachspielen und Auswendiglernen beruht. Jede Frau spricht von ihrer Beziehung mit dem „loving man“ (dem liebevollen Mann): dem Vater von Jananne Al-Ani. Sie sprechen von diesem Mann, aber auch von der Liebe, von Konflikten, von den kulturellen Unterschieden und von Trennung. Sie vermischen und konfrontieren die private und die öffentliche Sphäre, die intime Geschichte ihrer Familie und die politische Geschichte ihrer Länder, dem Westen und dem Osten.


Die Mutter der Künstlerin beginnt ihre Erzählung mit diesem Satz: “A loving man, who broke my heart“, dann wiederholt die erste Tochter den Satz und fügt hinzu: “A loving man, who broke my heart, he looked so young and optimistic once“ und die zweite ergänzt: „A loving man, who broke my heart, he looked so young and optimistic once, he was my heroe, he was loving and he made me laugh“, etc.1


Die sehr formelle Struktur der rezitierten Verse bringt nach und nach die persönliche Geschichte der Künstlerin und ihrer Familie ans Licht, die Geschichte des kulturellen Bruchs, die zur Auflösung der Familie und ihrer geographischen Trennung geführt hat. Um das Thema der Identität zwischen verliebtem, individuellem Verlangen und dem kultur-politischen Kontext zu behandeln und die Mechanismen der Erinnerung und der Konstruktion einer Geschichte zu erforschen, hat Jananne Al-Ani ihre Mutter und ihre Schwestern gebeten, zehn Sätze über ihren Mann und Vater zu schreiben, bevor sie die Texte der Performance von ihren Erinnerungen ausgehend verfasste. Am Drehtag ließ sie sie ganz kurz die Texte ihrer Erzählungen auswendig lernen und bat sie, diese in Form eines Spiels aufzusagen, das sich in die Tradition der mündlichen Überlieferung und gewisser Spielpraktiken einschreibt, die direkt mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit verbunden sind. Um das ritualisierte Spiel herum „schreibt sich der fragmentierte Körper jeder einzelnen Frau in eine Synchronisierungsbewegung für das Auftreten des Familienkörpers ein“2. Die Künstlerin hat ganz bewusst das Zögern der Vortragenden provoziert und erhalten, um die Spontanität des Spiels wiederzugeben und die Flüchtigkeit der Erinnerung zu unterstreichen. Dieses Stück reiht sich in eine Reihe von Arbeiten ein, die die Künstlerin mit ihren Schwestern und ihrer Mutter geschaffen hat (Tell/Tale, She said), in denen sie die intensiven und emotionellen Erfahrungen in Szene setzt, um ein Gespräch zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Osten und Westen zu initiieren, aber auch zwischen Zuschauer und Subjekt.


Die Form der Installation ist pur bis ins Extrem: man sieht nur die Gesichter der Frauen, die gar nicht oder wenig geschminkt, einfach auf völlig schwarzem Grund zu sehen sind. Diese Art der Aufnahme erinnert an eine gewisse fotografische Tradition und nähert sich gleichzeitig einer “Beckett'schen“3 Inszenierung. Trotz eines sehr persönlichen Themas gelingt es Jananne Al-Ani, durch eine prägnante und minimalistische Formensprache, eine pathetische Wirkung zu vermeiden. Ihr Material ist die Erinnerung, ein Material, das sie formt, um die Abwesenheit greifbar zu machen.


 


 


Emilie Benoit



 





1 Vollständiger Text: “A loving man, who broke my heart / he looked so young and optimistic once / he was my heroe, he was loving and he made me laugh / he was in love and he made promisses he couldn't keep / I am my father's daughter in so many ways / I understood his dilemma / He never joined us / He tried, but did he try hard enough / Complete disbelief, frustration and deep anger / When politics, religion, war and cultures clash, it's the ordinary family life that pays the price / He wrote to me about his anguish and loneliness and of his memories of us as though we had all died / he feels deserted by us and we feel deserted by him / regrets, my regrets, his regrets, your regrets / he's being a stranger to me for many years / he is no special person for me now / I can live my life more fully with him not near me / I have freedom from the exile's gloom / (...) Will he ever love me for who I am?“


 


“Ein liebevoller Mann, der mir das Herz gebrochen hat / er sah einmal so jung und optimistisch aus / er war mein Held, er war liebevoll und brachte mich zum Lachen / er war verliebt und machte Versprechungen, die er nicht einhalten konnte / ich bin so sehr die Tochter meines Vaters / ich habe sein Dilemma verstanden / er ist uns nie nachgefolgt / er hat es versucht, aber er hat es nicht genügend versucht / totale Ungläubigkeit, Frustration und tiefe Wut / wenn sich die Politik, die Religion, der Krieg und die Kulturen konfrontieren, zahlt das tägliche Leben der Familie den Preis dafür / er hat mir von seiner Angst, seiner Einsamkeit und seiner Erinnerung an uns geschrieben, als wären wir alle tot / er fühlt sich von uns verlassen und wir fühlen uns von ihm verlassen / Bedauern, mein Bedauern, sein Bedauern, dein Bedauern / er ist für mich seit Jahren ein Fremder / er ist nicht mehr jemand Besonderes für mich / ich kann mein Leben viel voller leben, wenn er nicht da ist / die Melancholie des Exils gibt mir Freiheit / (...) Wird er mich eines Tages für das was ich bin lieben?“


 



2 Michket Krifa, in Rencontres de la photographie 2002, Actes Sud, Arles, 2002, S. 72


 



3 In seinem Film What Where (Was Wo) von 1983 verwendet Beckett eine Aufstellung, die mit der in A Loving Man vergleichbar ist : drei Personen, auf schwarzem Hintergrund, von denen man nur die Köpfe sieht, fragen und antworten abwechselnd.